Blues streift Seelenlandschaften
 
Sie sieht man gern an. Und sie steht. Ohne Schutzmantel. Eingehüllt in ihr Haarkleid, traumverloren, wartend am Segelmast ihres Bootes, wohl mit tiefgründigem Wissen aller Zeiten versehen. Seine Eitelkeit vergessend, wird er den schmalen Weg zu ihr finden. Er springt. Kopfüber. Die schwarz-weiß Radierung trägt den Titel "Sprung III". Auf zwei weiteren Blättern experimentiert Anita Voigt-Hertrampf (Jg. 1961) mit Farbe. Fügt dem Paar-Motiv ein wunderbares Blau, in Abstufungen bis zum fast Schwarz, hinzu. Formal kombiniert die Malerin verschiedene Techniken: Kaltnadelradierung, Zeichenkohle, Hochdruckverfahren.
 
Von der Reduktion lebt ihre schwarzweiße Papierarbeit "o. T. (der Schatten); sie trifft mit diesem Blatt Punkt genau. So reduziert zu formulieren sei nur möglich durch Erfahrung mit vorherigen Arbeiten, bekennt die Malerin. Träume, Landschaften, Paare, Blindheit, Gefangensein, Erotisierung werden auf unverwechselbare persönliche Weise formuliert. Sie gewinnt durch ihre unleugbar weiblich bestimmten, zu keinem Zeitpunkt oberflächlich feministisch begründeten, dichten Bildformulierungen Profil. Tiefe Blues-Töne durchdringen wie ein roter Faden, kraftvoll, melancholisch die Arbeiten von Anita Voigt-Hertrampf.
 
"You gotta move" ist Titel und Programm ihrer Ausstellung. Dieser Blues wurde von verschiedenen berühmten Bands zelebriert: den Rolling Stones, der Aerosmith-Band, Cassandra Wilson. Die dunkle Rhythmik des Blues' streift Seelenlandschaften. Darunter verborgen ruht auch ein wenig die Geschichte der Künstlerin. Anita Voigt-Hertrampf ist in Dresden geboren und aufgewachsen. Nach vier Semestern Kunstgeschichte und Germanistik hat sie ihr Studium abgebrochen. Eingetauscht in ein ihr gemäßeres Studium für Malerei und Grafik an der Kunsthochschule in Dresden.
 
"Bei Elke Hopfe habe ich sehen, zeichnen und konsequentes Arbeiten gelernt", sagt sie. Nach dem Diplom (1993/94) ist sie bei Claus Weidensdorfer, der für sie menschlich wichtig wird, Meisterschülerin. Gleichzeitig atmet sie die vielschichtige Dresdner Maltradition ein, ist vertraut mit Arbeiten von Otto Dix, Theodor Rosenhauer oder Wilhelm Lachnit. Für die eigene Positionierung sind für sie Begegnungen mit gestandenen Künstlerinnen, wie zum Beispiel Gerda Lepke und der inzwischen verstorbenen Inge Thiess-Böttner wesentlich. Seit zehn Jahren arbeitet Anita Voigt-Hertrampf freiberuflich und gibt Mal- und Zeichenunterricht. Sie ist Mutter von drei Kindern.
 
In der gegenwärtigen Ausstellung in der Galerie art+form zeigt die Künstlerin ausschließlich neue Arbeiten. Neben Inhalten steht formal der spielerische Umgang mit grafischen Techniken und Materialstrukturen im Vordergrund. In "Klang der Stille" setzt sie in Linoltechnik flächige Formen, die Menschliches assoziieren und beschwören. Bruchstückhafte Plexiglas-Teile, mit der Radiernadel bearbeitet, fügen sich als bedrohliche Form in die gesamte Komposition ein. Ihre Drucke sind Unikate. Bei allem Spielerischen geht es Anita Voigt-Hertrampf nicht nur formal um das innere Pendel und die Balance. Vertraut ist ihr wohl Frieda Kahlo: "Ich male meine Realität. Ich weiß nur, dass ich male, weil ich malen muss, und ich male, was mir gerade durch den Kopf geht, ohne dabei etwas anderes zu überlegen."
 
Zwei wundervolle Blätter von Voigt-Hertrampf sind als Vorzugsgrafik für 60 Euro und für 90 Euro in der Galerie zu erwerben.
 
Angelika Gütter