Alexander Lange:
Erdverbundene Träume

 
Text zu Katalog und Ausstellung im Dresdner Stadtarchiv 2004
 
Auf halber Höhe am Elbhang im Dresdner Norden gelegen, fügt sich das Atelierhäuschen von Anita Voigt-Hertrampf in einen verwegenen Terrassengarten ein. Nach Jahren der Unruhe, mit Aufenthalten in der Höhe sowie am Fuße des Hangweges, den wir Leben nennen, sucht sie ihre Mitte, festen Boden unter den Füßen zu bekommen. All diesen Stationen widmete die Künstlerin in den letzten zehn Jahren eigene Ausstellungen. Auf der Suche nach dem, was grundlegend ist, geht es darum das menschliche Maß zu finden.
 
Arbeiten von Anita Voigt-Hertrampf haben stets mit dem eigenen Erleben zu tun. Bilder, Plastiken, Installationen und Objekte sind mit Erinnerungen und Erfahrungen verbunden. Ihre Kunst ist echte Hingabe. Sie dient ihr nach eigenem Bekunden dazu „in das innere Chaos Ordnung zu bringen“. Gedanken und Gefühle werden gespeichert und in den künstlerischen Verlauf überführt. Die Umsetzung in eine künstlerische Sprache entspricht der jeweiligen Seelenlage. Erinnerungen werden gezeichnet, gemalt oder montiert wie Überlagerungen von Filmsequenzen oder Fotos von einem Film, der doppelt belichtet wurde. Hinter jedem Bild steckt ein weiteres….verbinden sich Realität und Fiktion. Es kann …in allem wahrnehmbaren Vorhandenen ein Sinnbild liegen. Und während Menschen heute in Symbolen denken können, war für den magisch denkenden Menschen vergangener Jahrhunderte die magische auch eine reale Welt. In diesem unbestimmbaren Gebiet zwischen den Welten bewegen sich die Figuren in den Werken der Künstlerin. …Neben den durchkomponierten, erdfarbenen Reisebildern entstehen lockere, skizzenartige Blätter, die wie Anmerkungen oder Gedankenstützen zu Landschaften oder Menschen erscheinen.
 
Der Linoldruck, den AVH in der Grafik bevorzugt, hebt fließende Grenzen zugunsten einer sehr klaren, umrissbetonten Form auf. Henri Matisse sah in ihm das beste Mittel zur Illustration. In der Tat tragen auch die Blätter der Künstlerin erzählerischen Charakter. Vor einer fast gleich bleibenden Kulisse wechseln sich die Szenen ab, treten Figuren in Beziehungen oder agieren einsam. Jeder Schnitt in die Platte muß wohl bedacht sein, lässt spontanes Werken kaum zu. Jeder Schnitt verletzt das Material – ähnlich scharfen Schnitten in die Haut, die wie mit einem Skalpell, oder in die Seele, die mit Worten geführt wurden. Diese Drucke sind im Grunde Unikate, so aufwendig ist ihre Herstellung mit bis zu zehn Farben. Jeder Druck hinterlässt einen Nuancenreichtum, der nicht in gleichem Maße wiederholbar ist. Den Widerstand, den die Künstlerin beim Handdruck zu überwinden hat, sucht sie auch im Leben. Obwohl das vielfache Übereinanderdrucken Stofflichkeit erzeugt, wirken die Blätter der Technik entsprechend flächig, beschränken sich die Figuren auf Gesten, die ihren Charakter offenbaren. Die Dynamik der Geste wendet sich deutlich gegen kulturhistorisch geprägte Körperfeindlichkeit. Die Künstlerin will alle Sinne ansprechen. Konsequenterweise hat sie deshalb in letzter Zeit von der Zwei- zur Dreidimensionalität gefunden, die alle angesprochenen Prinzipien und Praktiken in luftigen Lichtobjekten in sich aufnimmt.
 
Es geht in der Kunst von Anita Voigt-Hertrampf stets aufs neue um Sinnlichkeit und Liebe. Denn die Frage nach Menschlichkeit, welche sich daraus speist, treibt um. Ihre Werke sind aus diesem Grunde zutiefst menschlich. In ihnen ist Empfindsamkeit und Verletzbarkeit stark zu spüren.